Wettkampf der Ideen und Fenster zur Zukunft
Der Blickwinkel der Kritik
Verblendung
Verschwendung
Warenwelt
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»Ästhetische Verwellnessung politischer Phänomene«, »Parcours für alle Sinne«, »Spa-Bereich der Globalisierung«
Im Zentrum der Weltausstellungen stehen oft weniger Inhalte, als formale Prunkinszenierungen.
Eitle Selbstdarstellungswett-kämpfe in Form von Nationen-pavillons
Event-Architekturen und Landmarks: Eiffelturm, Atomium, „Die Welt von morgen“-Panorama, etc.
»Die Expo Mailand, die heute eröffnet, will den Planeten retten – mit einer gewaltigen Material-verschwendung.« Niklas Maak
Materialverschwendungsorgie von epochalem Ausmaß in Mailand: 140 Länder, Organisationen und Firmen errichten Pavillons, die jeweils zwischen zehn und dreißig Millionen Euro kosten und nach dem 31. Oktober 2015 größtenteils wieder abgerissen und verschrottet werden.
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»Weltausstellungen sind Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware. Den Weltausstellungen gehen nationale Ausstellungen der Industrie vorher, von denen die erste 1798 auf dem Marsfelde stattfindet. Sie geht aus dem Wunsch hervor, die Arbeiter-klassen zu amüsieren und wird für dieselben ein Fest der Emanzipation. Die Arbeiterschaft steht als Kunde im Vordergrund. Der Rahmen der Vergnügungsindustrie hat sich noch nicht gebildet. Das Volksfest stellt ihn. Chaptals Rede auf die Industrie eröffnet diese Ausstellung. — Die Saint-Simonisten, die die Industrialisierung der Erde planen, nehmen den Gedanken der Weltaus-stellungen auf. Chevalier, die erste Autorität auf dem neuen Gebiet, ist Schüler von Enfantin und Herausgeber der Saint-Simonisten Zeitung „Globe». Die Saint-Simonisten haben die Entwicklung der Weltwirtschaft, nicht aber den Klassenkampf vorausgesehen. Neben ihrem Anteil an den industriellen und kommerziellen Unternehmungen um die Jahrhundertmitte steht ihre Hilflosigkeit in den Fragen, die das Proletariat betreffen. Die Weltausstellungen verklären den Tauschwert der Waren. Sie schaffen einen Rahmen, in dem ihr Gebrauchswert zurücktritt. Sie eröffnen eine Phantasmagorie, in die der Mensch eintritt, um sich zerstreuen zu lassen. Die Vergnügungsindustrie erleichtert ihm das, indem sie ihn auf die Höhe der Ware hebt. Er überläßt sich ihren Manipulationen, indem er seine Entfremdung von sich und den anderen genießt. — Die Inthronisierung der Ware und der sie umgebende Glanz der Zerstreuung ist das geheime Thema von Grandvilles Kunst. Dem entspricht der Zwiespalt zwischen ihrem utopischen und ihrem zynischen Element. Ihre Spitzfindigkeiten in der Darstellung toter Objekte entsprechen dem, was Marx die »theologischen Mucken« der Ware nennt. Sie schlagen sich deutlich in der »spécialité« nieder — eine Warenbezeich-nung, die um diese Zeit in der Luxusindustrie aufkommt, unter Grandvilles Stift verwandelt sich die gesamte Natur in Spezialitäten. Er präsentiert sie im gleichen Geist, in dem die Reklame — auch dieses Wort entsteht damals — ihre Artikel zu präsentieren beginnt. Er endet im Wahnsinn.
Die Weltausstellungen bauen das Universum der Waren auf. Grandvilles Phantasien übertragen den Warencharakter aufs Universum. Sie moderni-sieren es. Der Saturnring wird ein gußeiserner Balkon, auf dem die Saturnbewohner abends Luft schöpfen. Das literarische Gegenstück dieser graphischen Utopie stellen die Bücher des Fourieristischen Naturforschers Toussenal dar. — Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will, Grandville dehnt ihren Anspruch auf die Gegenstände des alltäg-lichen Gebrauchs so gut wie auf den Kosmos aus. Indem er sie in ihren Extremen verfolgt, deckt er ihre Natur auf. Sie steht im Widerstreit mit dem Organischen. Sie verkuppelt den lebendigen Leib mit der anorganischen Welt. An dem Lebenden nimmt sie die Rechte der Leiche wahr. Der Fetischismus, der dem Sex-Appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv. Der Kultus der Ware stellt ihn in seinen Dienst.
Zur Pariser Weltausstellung von 1867 erlässt Victor Hugo ein Manifest: „An die Völker Europas”. Früher und eindeutiger sind deren Interessen von den französischen Arbeiterdelegationen vertreten worden, deren erste zur Londoner Weltausstellung von 1851, deren zweite von 750 Vertretern zu der von 1862 abgeordnet wurde. Diese war mittelbar für die Gründung der Internationalen Arbeiter-Association von Marx von Bedeutung. — Die Phantasmagorie der kapitalistischen Kultur erreicht auf der Weltausstellung von 1867 ihre strahlendste Entfaltung. Das Kaiserreich steht auf der Höhe seiner Macht. Paris bestätigt sich als Kapitale des Luxus und der Moden. Offenbach schreibt dem Pariser Leben den Rhythmus vor. Die Operette ist die ironische Utopie einer dauernden Herrschaft des Kapitals.«
Walter Benjamin
»Nicht nur Staaten, auch Unternehmen lassen sich Pavillons bauen, deren Preis und Form klarmachen, dass Staaten und andere politische Gebilde mit privaten Akteuren rechnen müssen, die oft mehr Macht haben als jene.« Niklas Maak
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