Nationalsozialismus

Der totalitäre Herrschaftsanspruch

Das Konzept

Ideologie

Erwartungshorizont

Rassismus

Propagandaschlacht

Manifest des Futurismus | 1909

 

1. Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit.

2. Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die Wesenselemente unserer Dichtung sein.

3. Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.

4. Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen,  dessen  Karosserie große  Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen ... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.

7. Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein.

9. Wir wollen den Krieg verherrlichen — diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.

10. Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht.

Illustration –  Tullio Crali - Diving on a City (1939)

 

»Es kann nicht anders sein! Es gibt keine andere Wahrheit!«

 

Eine Ideologie ist eine Form der Weltsicht, die einen hohen Anspruch auf Wahrheit erhebt und daher abweichende Meinungen nicht toleriert. Wer sich einer Ideologie verpflichtet fühlt, muss daher lernen bestimmte Sachverhalte konsequent zu übersehen oder zu ignorieren.

 

Bei nüchternen Betrachtung wirken die Botschaften der Nationalsozialisten weitestgehend grotesk übertrieben und unglaubwürdig. Dies hat jedoch deren Wirkung nicht geschmälert. Da sich das Unglaubliche gar nicht erst einer sachlichen Auseinandersetzung stellt, gewinnt es eine Art unabhängiges Eigenleben. Die Ideologie erlaubt somit eine fetischistische Begeisterung für bestimmte Vorstellungen, die, weil sie unglaublich klingen, kritiklos akzeptiert werden können.

Zeit der programmatischen Ansätze

 

1848 – Manifest der Kommunistischen Partei

 

Nationalsozialismus

 

Die Standardmethode, um einen Widerspruch zu leugnen und die eigene Position als Vertretung der Gesamtinteressen darzustellen, besteht darin, die Ursache des Widerspruchs auf einen äußeren Eindringling zu projizieren, der für die Bedrohung der Gesellschaft als solcher steht, für das antisoziale Element, für ihren exkrementellen Überschuss.

 

„Totalitäre Politik gebraucht und missbraucht ihre eigenen ideologischen und politischen Elemente so lange, bis die reale Tatsachenbasis, aus der die Ideologien anfänglich ihre Stärke und ihren Propagandawert bezogen, so gut wie verschwunden ist.“

 

 

Die Ausgangslage

Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Massenelend

 

München war nach dem Ersten Weltkrieg der Ort, an dem die nationalen Enttäuschungen und Leidenschaften, in einer Heftigkeit gelebt wurden wie nirgendwo sonst in Deutschland. Angst vor der Zukunft. Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise begünstigten eine Sehnsucht nach schlichten Welterklärungen und Heilsversprechen. Mit simplen Parolen und einer auf Feindbildern aufgebauten Ideologie, die Unzufriedenen und Deklassierten, die Traumatisierten und Verzweifelten nach dem ersten Weltkrieg unter der Zauberformel „Nationalsozialismus“ zu integrieren.

Eine „Säuberung“ von Staat und Gesellschaft schien allen, die an den Anbruch eines neuen Zeitalters, an die Wiedergeburt nationaler Größe und Herrlichkeit glaubten, notwendig und hartes Durchgreifen selbstverständlich.

X

»Feindbilder haben schon immer geholfen, die eigenen Reihen fester zu schließen.« Hermann H. Wala, Prof. Dr. Hubert Burda

 

In den 1930er Jahren bot Hitler den Antisemitismus als Erklärung für die Schwierigkeiten an, die normale Deutsche erleben mussten: Arbeits-losigkeit, moralischer Niedergang, soziale Unruhen – hinter alledem stünde der Jude.

 

Die „jüdische Verschwörung“ zu beschwören machte alles verständlich, indem sie für eine einfache „kognitive Karte“ sorgte.

 

„Die Protokolle der Weisen von Zion” sind ein seit Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitetes anti-semitisches Pamphlet, das eine jüdische Weltver-schwörung belegen soll. Es wurde von unbekannten Redakteuren auf der Grundlage der satirischen Schrift Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu von Maurice Joly und weiteren fiktionalen Texten zusammengestellt. Trotz mehrfach erbrachter Beweise, dass es sich bei den Protokollen um Fälschungen handelt, findet sich der Glaube an ihre Authentizität oder Wahrheit noch heute unter Antisemiten und Anhängern von Verschwörungstheorien in der ganzen Welt.

 

»Abgewehrt wird alles, was fremd ist. Der Gegenstand der Immunabwehr ist die Fremdheit als solche. Selbst wenn der Fremde keine feindliche Absicht hat, selbst wenn von ihm keine Gefahr ausgeht, wird er aufgrund seiner Andersheit eliminiert. Die immunologisch organisierte Welt hat eine besondere Topologie. Sie ist von Grenzen, Übergängen und Schwellen, von Zäunen, Gräben und Mauern geprägt. Sie verhindern den universalen Tausch- und Austauschprozess. Das immunologisch Andere ist das Negative, das in das Eigene eindringt und es zu negieren sucht.« Byung-Chul Han

 

Der „Arierparagraph“ wurde als Ausschluß-bestimmung erlassen. Die Tendenz zur Anpassung an die neue Zeit zeigte sich rasch, als Sportvereine und Kegelklubs, Sangesbrüder, Stundenten-verbindungen und soziale Organisationen ohne staatlichen Zwang und ohne Notwendigkeit begannen, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen.

 

Die Definition „Jude“ war dabei ausschließlich Sache der nationalsozialistischen Rassenideologie. Den Juden werden sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften zugesprochen.

 

Jeder musste beweisen, dass er KEIN Jude war. „Der politische Körper des Nationalstaats war ja gerade dadurch von allen anderen unterschieden, dass für die Aufnahme in den Staatsverband die nationale Abstammung und für die Bevölkerung insgesamt ihre Homogenität entscheidend waren.“ Hannah Arendt „Eine Nation in der Nation konnte nicht mehr geduldet werden.“

»Jeder Deutsche, der eine Uniform trug und eine Waffe hatte, konnte in Warschau mit einem Juden tun, was er wollte. Er konnte ihn zwingen zu singen oder zu tanzen oder in die Hosen zu machen oder vor ihm auf die Knie zu fallen und um sein Leben zu flehen. Er konnte ihn plötzlich erschießen oder auf langsamere, qualvollere Weise umbringen. Er konnte einer Jüdin befehlen, sich auszuziehen, mit ihrer Unterwäsche das Straßenpflaster zu säubern und dann vor aller Augen zu urinieren. Den Deutschen, die sich diese Späße leisteten, verdarb niemand das Vergnügen, niemand hinderte sie daran, die Juden zu misshandeln und zu morden, niemand zog sie zur Verantwortung. Es zeigte sich, wozu Menschen fähig sind, wenn ihnen unbegrenzte Macht über andere Menschen eingeräumt wird.« Marcel Reich-Ranicki

»Wird etwas oft wiederholt, machen wir es unserem Hirn sehr leicht, es wieder abzurufen. Dabei muss es nicht einmal wahr sein. Wie oft hat die Nazi-Führung das Wort „Judenfrage” wiederholt, bis die Massen überzeugt waren, dass ein ernsthaftes Problem vorliegt?« Rolf Dobelli

 

Hitler selbst wählte mit Unterstützung seines Chefdesigners Robert Ley und seines Hausfotografen Heinrich Hoffmann die Farben, Symbole, Posen, Designs seines Reichs - und ein uraltes mythisches Symbol als Logo: die Swastika, die in nur zwölf Jahren für immer zum Symbol für Staatskriminalität und Hass wurde.

 

Joseph Goebbels | Reichspropagandaleiter

 

Für das NS-Regime zentral war seine Funktion als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Er bekleidete das Amt von 1933 bis 1945. Goebbels, der Präsident der Reichskultur-kammer war, beherrschte nach der Gleichschaltung der Massenmedien das geistige und kulturelle Leben in Deutschland wie das Pressewesen. Gestützt auf den von ihm mit aufgebauten Propagandaapparat prägte und verbreitete er die Ideologie des Nationalsozialismus wesentlich. Sein Aufruf „Wollt ihr den totalen Krieg“ unter dem ekstatischen Jubel seiner Zuhörer während der Sportpalastrede 1943 gehört zu den bekanntesten Beispielen seiner Rhetorik wie propagandistischer Inszenierungen des Nationalsozialismus.

»Aus Anlaß des Gemeinschafts-empfangs der Rede des Führers tritt während der Zeit von 16 bis 17 Uhr (4 bis 5) eine Verkaufspause ein«

Illustration: Triumph des Willens, Regie Leni Riefenstahl, Propagandafilm über den Reichspartei-tag der NSDAP 1934 in Nürnberg, 1935